Reto Stump: «Der Ukraine-Krieg verdeutlicht, dass sich Anleger und Stiftungen Gedanken machen müssen, wohin ihr Geld fliesst»

Saturday, April 30, 2022

Janine Keller

Die gefährlichen und zerstörerischen Personenminen stellen in vielen Regionen der Welt noch immer ein grosses Problem dar. Auch die Ukraine gehört dazu und wird sich zukünftig aufgrund des Krieges verstärkt mit dieser Problematik befassen müssen. Um auf das dringliche Thema der Minenproblematik aufmerksam zu machen, wird mine-ex zusammen mit der FSD (Fondation Suisse de Déminage) am diesjährigen Rotary Institute in Basel vertreten sein. Im Interview berichtet Reto Stump (RC Illnau-Effretikon), Stiftungsrat und Präsident von mine-ex, von aktuellen Entwicklungen bei der Stiftung.

Herr Stump, geben Sie uns zuerst ein paar Hintergrundinformationen zur Arbeit von mine-ex, für diejenigen, die Stiftung noch nicht kennen.

Mine-ex ist im Bereich der Opferhilfe und der sozialen und beruflichen Integration tätig. Wir sind bereits seit 27 Jahren in Kambodscha und arbeiten seit jeher eng mit unserem Partner, dem IKRK, zusammen. Es ist eine sehr erfolgreiche Zusammenarbeit, die wir auch in Afghanistan vermehrt weiterführen. Während das IKRK in sehr vielen Ländern tätig ist, konzentrieren wir uns hauptsächlich auf Kambodscha und Afghanistan.

Rot. Reto Stump, Präsident von mine-ex

Ein Mann, der in Kambodscha Opfer eines Minenunfalls geworden ist im Rehazenter.

Wie ist die aktuelle Situation in Kambodscha?

In Kambodscha gibt es immer noch Minenopfer. In den Jahren vor der Pandemie war die Zahl der neuen Minenopfer zwar abnehmend. Leider war in den letzten zwei Jahren wieder eine Zunahme festzustellen. Die Einwohner rodeten aufgrund einer Hungerkrise, ausgelöst durch die Pandemie, vermehrt Wälder. Dabei sind sie wieder öfter auf Minen getreten.

Was man oft vergisst, ist die Tatsache, dass Opfer über Jahre hinweg Prothesen, Anpassungen der Prothesen und Physiotherapie benötigen. Sind sie einmal Opfer geworden, benötigen sie ein Leben lang Unterstützung. In Kambodscha gibt es insgesamt mehrere tausend Opfer, die langfristig Hilfe benötigen. Es gibt zudem einen besonders hohen Verschleiss an Prothesen in Ländern, in denen zum Beispiel die Strassen nicht gut geteert sind oder viel Feldarbeit erledigt wird.

Wir kümmern uns in Kambodscha auch um die soziale und berufliche Integration, denn Menschen mit Behinderung werden als Menschen ‘’minderer Qualität betrachtet’’. Wir unterstützen zum Beispiel Kurzausbildungen im Gemüsebau oder in der Fischzucht, die dem Zweck der Umschulung dienen. Es ist wichtig, dass erwachsene Opfer ihre Familien weiterhin ernähren können.

Wir finanzieren zudem bereits seit vielen Jahren die Ausbildung von Physiotherapeuten und Orthopädietechnikern. Pro Jahr können mit unserer Hilfe fünf bis zehn Physiotherapeuten und fünf Orthopädietechniker ausgebildet werden. Mittlerweile ist der Ausbildungsstandard in diesem Bereich bis zur Bachelorstufe hin international anerkannt. Die Lernenden sind sogar auf demselben Niveau wie in der Schweiz. Alle Studierende, denen wir die Ausbildung finanzieren, sind verpflichtet, für drei Jahre in einem Rehazentrum des IKRK zu arbeiten. Auch Studierende aus anderen Ländern wie Laos oder Myanmar kommen für diese Ausbildung nach Kambodscha und tragen das Wissen dann in ihre Länder. Das ist der Verdienst der letzten 10 Jahre.

Nach Kambodscha wollten wir unser Programm eigentlich auf Myanmar ausweiten, aber da kam uns die politische Lage leider in die Quere. Beide Seiten legen in Myanmar zurzeit noch Minen. Es wird also nur noch schlimmer.

Berichten Sie uns noch von Afghanistan: Wie lange ist mine-ex bereits in Afghanistan tätig?

In Afghanistan sind wir bereits seit ungefähr 15 Jahren tätig. Unsere Arbeit hat sich da ähnlich entwickelt wie in Kambodscha. Aber nach der Übernahme der Taliban und der Naturkatastrophe (Dürre) im letzten Sommer ist die Situation sehr schwierig. Es gibt keine Strukturen mehr, zusätzlich herrscht eine grosse Hungersnot. Die USA hat die internationalen Zahlungssysteme nach Afghanistan eingestellt, wodurch es für ausländische NGOs fast unmöglich wurde, Geld zu transferieren oder ihre Mitarbeiter im Land zu entlöhnen. Glücklicherweise hat das IKRK ein eigenes System und kann unabhängig vom internationalen Bankensystem operieren. Das ist zu unserem Vorteil.

Durch die grosse Hungersnot hat sich im Jahr 2021 auch die Zahl der Minenopfer verdoppelt. Viele Menschen waren gezwungen, lange Strecken durch unbekanntes Gebiet zu gehen, um Arbeit oder Essen zu finden und sind dabei vermehrt auf Minen getreten. Dieser Umstand hat dazu geführt, dass wir dieses Jahr zusätzliche 300‘000 Franken nach Afghanistan schicken werden, also insgesamt 800'000 Franken.

Minenopfer in Afghanistan

Wie sieht eure Arbeit in Afghanistan denn aktuell aus? Was ist noch möglich? Können zum Beispiel noch Frauen ausgebildet werden?

In öffentlichen Schulen ist die Situation für Frauen problematisch. Aber innerhalb der IKRK-Zentren können auch Frauen weiterhin ausgebildet werden und beim IKRK arbeiten. Die Taliban sind froh, wenn sie in dem Bereich weiterarbeiten, denn das Gesundheitssystem ist seit dem Abzug der amerikanischen Truppen zusammengebrochen und das sehen die Taliban auch. Das IKRK kann also weiterhin aktiv sein. Das hat auch damit zu tun, dass es bereits seit 30 Jahren in Afghanistan tätig ist und daher ein gewisses Vertrauen besteht.

Noch zu dem Thema, das zurzeit die ganze Welt beschäftigt, der Krieg in der Ukraine. Wie sehen Sie die Situation, aus der Sicht von mine-ex?

In der Ukraine werden aktuell von beiden Seiten Minen verlegt. Das wird der Zivilbevölkerung in naher Zukunft viele Probleme bereiten. Die Russen legen zum Beispiel Minen in den Erntefeldern, damit die Ernte nicht mehr möglich ist. Ich gehe aber davon aus, dass man in der Ukraine den Opfern besser wird helfen können, weil sie ein besseres Sozialsystem haben.

Wie soll sich Rotary Ihrer Meinung nach in der aktuellen Situation positionieren?

Der Krieg in der Ukraine verdeutlicht, dass sich Anleger und Stiftungen Gedanken machen müssen, wohin ihr Geld fliesst. Ich finde, dass auch Rotary sich in dieser Hinsicht noch klarer positionieren muss und sich vermehrt Gedanken zu den ESG macht und dies auch mitteilt. Der Rotary Club Oberer Zürichsee hat diesbezüglich kürzlich zwei Resolutionen verabschiedet, die der Distrikt 2000 anschliessend ebenfalls verabschiedet hat. Die erste Resolution geht in Richtung ESG. Die zweite wünscht, dass sich Rotary für selbstzerstörende Minen einsetzt. Minen, mit einem Selbstzerstörmechanismus kosten zwar etwas mehr (zwischen 8 und 10 Franken im Gegensatz zu 5 Franken), können aber nach einem Krieg leicht zerstört werden. Da die grossen Länder wie die USA, China und Russland sowieso nie einem Gesetz zustimmen würden, das Minen generell verbietet, wäre das eine Alternative.

Abschliessende Frage: Wie entwickelt sich die Arbeit von mine-ex in naher Zukunft?

Worauf wir immer wieder angesprochen werden, ist die Minenräumung. Die Arbeit rund um die Minenproblematik besteht natürlich aus den zwei Bereichen der Minenräumung und der Opferhilfe. In unseren Statuten steht die Minenräumung allerdings nicht. Dazu muss man verstehen, dass mine-ex pro Jahr zwischen 700'000 und 800'000 Franken bereitstellen kann. Für die Minenräumung werden jährlich von verschiedenen Organisation 460 Mio. Franken bereitgestellt. Bei der Opferhilfe sind es ‘’nur’’ 37 Mio. Unser Beitrag wäre im Bereich der Minenräumung nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Wir sind in der Hinsicht aber nicht ganz untätig und unterstützen die Urs Endress Foundation, mit FindMine. Diese Stiftung entwickelt unter anderem Drohnen, welche 24 Stunden am Tag über ein Gebiet fliegen können, um Minen zu entdecken. Wir haben erst kürzlich bestimmt, 30'000 Franken für einen Feldtest dieser Drohnen bereitzustellen.

Demnach sind wir in den drei Hauptbereichen der Einhaltung der Ottawa Konvention, der Opferhilfe und der Minenräumung tätig, ohne unsere Strategie zu ändern und unsere Statuten zu verletzen. Dadurch, dass wir uns auf wenige Regionen beschränken und uns auf die Opferhilfe fokussieren, können wir unsere Gelder wirksam einsetzen.

Vielen Dank für das Interview, Herr Stump!